Kürzlich erschien ein großes Buch. Ein Weinbuch. Dieses ist alleine schon wegen seines Formates und seiner über 300 Seiten als solches zu bezeichnen.
Das Buch Deutscher Wein und Deutsche Küche von Sommelière Paula Bosch und Sternekoch Tim Raue erschien Anfang Oktober im Münchner Callwey Verlag, der sich auf Architektur und am Rande dieser auch um allgemeine Themen des schönen Lebens (Garten, Wohnen, Kochen) spezialisiert hat.
Disclaimer: Der Verlag hat mir das Buch kostenlos zur Verfügung gestellt.
Deutscher Wein
Zunächst geht es in den ersten zwei Dritteln des Buches um den deutschen Wein bzw. ausgewählte Weine ausgewählter Winzer (eben von Paula Bosch persönlich ausgesucht).
Bei den Winzern und Weingütern, die von Paula Bosch porträtiert werden, ist für mich keine große Überraschung dabei. Es sind die mir bekannten Namen der deutschen Anbaugebiete (wobei jedoch einige „große Namen“ fehlen, aber vollständig kann ein solches Werk nie sein). Dass viele der im Buch vorgestellten Winzer VDP-Mitglieder sind (Verband deutscher Prädikatsweingüter) sieht auch Paula Bosch als erklärungsbedürftig: „Das mag auf den ersten Blick irritieren, ist aber bei meiner Auswahl reiner Zufall, weil ich mich … in erster Linie für langjährige Wegbegleiter in meiner Tätigkeit als Sommelier entschieden habe“. Quereinsteiger und Geheimtipps haben in einem solchen Buch daher kaum eine Chance porträtiert zu werden, aber vielleicht wäre das ja noch eine lohnenswerte Idee für den Callwey Verlag. Der Stoff würde, so Bosch, „sogar für ein paar Bücher ausreichen“.
Eine Ausnahme bildet das Weingut Chat Sauvage im Rheingau, das erst in den „Nuller Jahren“ vom Hamburger Bauunternehmer Günter Schulz gegründet wurde und heute junge Mitarbeiter in führenden Positionen in Keller und Weinberg beschäftigt.
In ihrer Einführung in das Buch erklärt Paula Bosch die VDP Klassifikationspyramide, die für den Laien ja leider durchaus noch sehr erklärungsbedürftig ist (oder auch ganz ignoriert werden kann, was Bosch bei den Weinen aus den Qualitätsstufen Gutswein, Ortswein und Erste Lage im Buch dankenswerterweise „zum einfachereren Verständnis“ auch tut). Das 5-stufige Model zur Preisorientierung mit einem €-Zeichen für Weine unter 10 Euro und fünf €-Zeichen für Weine über 40 Euro und den Zwischenschritten 15 und 25 Euro ist plausibel und hilfreich.
Die Weingüter werden nach ihren Anbaugebieten vorgestellt und es sind auch alle 13 deutschen Anbaugebiete vertreten. Jedem Anbaugebiet ist eine einführende Doppelseite mit Informationen zu Struktur, vorherrschenden Rebsorten und Böden gewidmet.
In der Einführung unseres Weinbaugebiets, Franken, verzichtet Bosch nicht auf die üblichen Hinweise auf den (vorübergehenden) schlechten Ruf („Frankenweine wurden lange als einfache Trinkweine mit deutlichem Hang zur Plörre betrachtet…“). Paula Bosch schickt jedoch hinterher: „Das Jammertal ist seit der Jahrhundertwende 2000 durchlaufen, die Krise und die schweren Zeiten sind vergessen. Die Zukunft der Weine Frankens hat längst begonnen.“
Sehr schön ist die kleine Rebsortenkunde. Zeitgemäß sind die verwendeten „tag clouds“ (Stichwortwolken) zu den Rebsorten, die auf kurzen Blick wesentliche Eigenschaften derselben vermitteln.
Bei den Bildnachweisen der Winzer und Weingüter ist vor allem ein Name immer wieder zu lesen: Andreas Durst. Durst ist ein in der Weinszene zurecht gefeierter Fotograf, der 2009 sehr erfolgreich als „Garagenwinzer“ auch als Weinproduzent in die Branche einstieg.
Deutsche Küche
Der Berliner Sternekoch Tim Raue kommt im Vorwort und natürlich mit den Rezepten im letzten Drittel des Buches zu Wort. Zu seinen neu interpretieren deutschen Klassikern der Küche macht Paula Bosch jeweils eine Weinempfehlung, die sie jedoch nur als Anregung verstanden wissen will.
Die Rezept-Interpretationen des Küchenchefs beschreibt Paula Bosch in ihrem Vorwort so: „Nicht die reflexartige Abkehr vom angeblich langweiligen deutschen Essen, sondern die Fähigkeit, das Typische zu bewahren und so kreativ zu erneuern, dass man die einheimischen Gerichte unzweifelhaft wiedererkennt – aber auch die Zeit in der sie gekocht werden.“
Tim Raues Anspruch scheint aus einfachen und bekannten Gerichten etwas ganz Besonderes zu machen. So gibt es ein Rezept für Kopfsalat (!), den er dadurch veredelt, indem er ihm u.a. mit Nuoc-Mam-Sauce, Tabasco, Kapern und Muscovado-Zucker „Aromenblitze“ verleiht. Muscovado-Zucker ist nicht die einzige Zutat, die ich googlen musste. („Brauner Zucker“ hätte ich auf Anhieb verstanden, aber es soll wohl schon die sehr dunkle Variante aus Mauritius sein). Insofern habe ich durch die Lektüre – auch genusstechnisch – einiges dazu gelernt.
Ein im Buch beschriebenes Gericht aus meiner fränkischen Heimat, die Sauren Zipfel (bei uns auch „Blaue Zipfel“ genannt), werden dann nicht nur mit einem klassischen „Wurzelsud“ zubereitet sondern verfeinert mit Limettensirup und Estragonessig und am Tisch gepaart mit einem bezahlbaren trockenen Müller Thurgau des berühmtesten deutschen Weissweinmachers, Horst Sauer aus Escherndorf.
Sogar ein Rezept für mein Leibgericht – „Birnen, Bohnen und Speck“ – ist dabei. Allerdings ist es nicht gerade ein Rezept, das ich nach kochen wollte oder könnte. Statt der geliebten grünen Bohnen sind diese hier nämlich durch gekochte weiße Bohnen und der durchwachsene geräucherte Speck durch rein weißen „zartschmelzenden Lardo“ ersetzt. Die von Raue dazu empfohlene, in feine Streifen geschnittene Abate Birne habe ich auf dem Foto des Berliner Fotografen Joerg Lehmann, der wohl alle (sehr ansprechenden) Food Shots des Buches gemacht hat, gar nicht entdeckt. Dafür sieht man das grüne „Dashi“, einen „japanischen Sud, der aus getrockneten Thunfischflocken gekocht wird, und ein sattes – warum auch immer – Räucherspeckaroma hat“. Aha. Also ist das Aroma des Räucherspecks doch irgendwie vorhanden; elBulli lässt grüßen.
Die Rezepte von Tim Raue sind mir persönlich ein wenig zu „haute cuisine“ (was man einem Sternekoch nicht übel nehmen kann). Als Kochbuch würde ich das Buch nicht in erster Linie sehen, sondern als Weinbuch mit schönen Fotos und ausgefallenen Rezepten neu interpretierter deutscher Küche. Wer das eine oder andere Rezept doch mal nachkochen möchte, dem wird im Anhang eine Zutatenliste gereicht. Somit lässt sich das passende Rezept für die Hauptzutat schnell finden. So manche Nebenzutat wird man sich aber im Delikatessenfachhandel erjagen müssen. Insofern sind die Rezepte und die schönen Bilder der im Stil der Sternegastronomie entsprechend angerichteten Teller eher als Inspiration des Möglichen und als Zelebration eines gehobenen Lebensstils (und des Erfolgs des Sternekochs und seines Berliner Lokal) zu sehen.
Die Anregung den einen oder anderen Wein auch mal zu richtig außergewöhnlichen Speisen zu probieren und gerade den deutschen Wein bewusst als große Kunst zu zelebrieren, wird die sich zunehmender Beliebtheit und Respekt erfreuende Branche sicherlich bereichern. Für die empfohlenen Winzer sind die Beiträge jedenfalls eine Bestätigung einer meistens bereits in der Weinwelt statt gefundenen Adelung. Für die „jungen Wilden“ mag es ein weiterer Anreiz sein, den Wein-Olymp und die Subkultur der Sterneküchen auch noch zu erklimmen.
Kurzes Fazit: Ein hochwertiges „coffee-table book“ für Genuss- und Weinfanatiker und ein wichtiger Beitrag zur Stärkung eines wachsenden und berechtigten Selbstverständnisses deutscher Winzer und ihrer Weine.
Das Buch:
Das Buch beim Callwey Verlag: https://www.callwey.de/buecher/deutsche-weine-und-deutsche-kueche/
Deutscher Wein und Deutsche Küche, Callwey Verlag, 320 Seiten, gebunden, 39,95 Euro (zuzüglich Versand), ISBN 978-3-7667-2174-7
Die Rezepte:
– Krabbencocktail
– Kopfsalat
– Rehpastete
– Zwiebeltarte
– Hühnersuppe
– Pellkartoffeln und geräucherte Butter
– Spätzle und Mängisch
– Spargel
– Maultaschen
– Solei mit Kartoffelsalat
– Reiberdatschi mit Gurkensalat und geräuchertem Wels
– Birne, Bohne und Speck
– Blutwurst mit Kartoffelpüree, Apfel und Majoran
– Linsen süß-sauer
– Pilze, Spinat und Blauschimmelkäse
– Bratwurst
– Grünkohl und Topinambur
– Forelle Sashimi
– Dorsch und Schmorgurken
– Räucheraal
– Heringssalat
– Zander und Beurre blanc
– Scholle
– Miesmuscheln
– Leipziger Allerlei
– Spanferkelhaxe
– Traminerhuhn
– Königsberger Klopse
– Coq au Vin
– Falscher Hase
– Dornfelder Hasenragout
– Kartoffelklöße und Entenklein
– Wirsingroulade
– Schäufele
– Rheinischer Sauerbraten
– Berliner Leber
– Saure Zipfel
– Kutteln in Apfelessig
– Gulasch und Semmelknödel
– Schweinekinn und Sauerkraut
– Handkäse und Musik
– Rote Grütze
– Rohrnudeln
– Süßwein-Apfel
– Sauerkirschen und Schokolade
– Zwetschgenknödel
– Milchreismousse
– Bienenstich
– Weinbergspfirsich
– Erdbeeren und Rosé